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Sonntag, 6. März 2011

Ulcus cruris venosum (3): Allgemeines zur Wundbehandlung

Normalerweise ist die Wundheilung ein körpereigener Vorgang, der ärztlicherseits und durch pflegerische Maßnahmen nur insofern unterstützt werden kann als das innere und äußere Einflüsse, die hemmend wirken, beseitigt werden.

Ein Ulcus ist keine Diagnose, sondern Symptom einer Erkrankung!

An erster Stelle steht die Behandlung der Erkrankungen, die ein Ulcus ausgelöst haben. Gerade bei chronischen Wunden wird häufig auf eine umfassende und korrekte Diagnose verzichtet, oft pilgern die frustrierten Patienten von einem Arzt zum anderen, denn irgendjemand muss die Wunde doch endlich mal zur Abheilung bringen können. 

Die häufigste Ursache eines Ulcus cruris ist mit über 50% die chronisch venöse Insuffizienz, aber eben nicht die alleinige. Bevor man sich Gedanken zur Wundbehandlung macht ist eine umfassende Diagnostik erforderlich zu der insbesondere die Gefäßuntersuchung mit Ultraschall gehören, Blutuntersuchungen, die mikrobiologische Untersuchung der Wunde (sind Bakterien vorhanden und wenn ja, welche?) und evtl. sogar die Entnahme einer kleinen Gewebsprobe. 

Ist das Ulcus tatsächlich venös bedingt, dann muss die Druck- und Volumenüberlastung im Venensystem durch eine konsequente Kompressionstherapie und/oder invasive Maßnahmen wie Operation oder Sklerosierung reduziert werden. Auch wichtig, aber erst an zweiter Stelle stehend, ist die lokale Wundbehandlung, die eine ungestörte Heilung ermöglichen soll.

Modernes Wundmanagement: phasengerechte Wundbehandlung

Die lokale Wundbehandlung erfolgt phasenadaptiert, wobei generell das Prinzip der feuchten Wundbehandlung gilt. Das eine chronische Wunde mit trockenem Verbandsmaterial versorgt wird, dürfte die Ausnahme sein. 

Ist die Wunde schmierig belegt und infiziert, muss sie zunächst gereinigt und desinfiziert werden. Abgestorbenes Gewebe und fest haftende Beläge müssen entfernt werden. Das kann chirurgisch, also operativ erfolgen, mit Wasserstrahl- oder Ultraschallgeräten oder mit lokal aufgetragenen Enzymen, die die Beläge „verdauen“. Eine Option sind auch sog. Biobags, steril gezüchtete Fliegenlarven, die in teebeutelähnlichen Säckchen verpackt auf den Wundgrund gelegt werden und dort abgestorbenes Gewebe abknabbern. Sicher nicht jedermanns Sache und ob Maden die besseren Chirurgen sind sei dahingestellt…

Sobald die Wunde sauber ist, wird die Granulation gefördert. Darunter versteht man die Entstehung von neuem Gewebe, zunächst Bindegewebe, in das mikroskopisch winzige Gefäße einwachsen und aus dem schließlich  die Vorstufe des Kollagens entsteht. Die Wunde schrumpft  und gewinnt an Festigkeit. In dieser Phase eignen sich beispielweise Polyurethan-Schäume und Hydrokolloid-Materialien.

Die letzte Phase bezeichnet man als Epithelisierung. Die Wunde zieht sich zusammen, das Granulationsgewebe wird zunehmend wasser- und gefäßärmer, festigt sich und bildet sich zu Narbengewebe um. Die Epithelisierung bringt dann die Wundheilung zum Abschluss: Die zur Teilung (Mitose) befähigten Zellen der Epidermis, die sog. Keratinozyten, vermehren sich und beginnen, meist vom Wundrand her, mit der Überhäutung der Granulationsfläche. In dieser Phase kann unterstützend mit Hydrokolloiden, Polyurethan-Schaum oder Kollagenen gearbeitet werden. Bei sehr großflächigen Wunden kann diese Phase ewig dauern. Deutlich abgekürzt werden kann sie durch Hauttransplantationen. Bei sehr tiefen Defekten mit freilegenden Sehnen oder Knochen wird man um eine Verpflanzung von Haut oder sogar Muskellappen zur Defektfüllung nicht herumkommen, da Sehnen und Knochen kein guter Wundgrund für die Eigenheilung sind und Infektionen fatale Folgen haben können. Hydrokolloid- und Schaumverbände sind bei freiliegenden Sehnen und Knochen übrigens kontraindiziert.

Hautschutz in der Wundumgebung

Ulcera geben in der Regel viel Feuchtigkeit ab, die die Haut in der Wundumgebung angreifen kann. Meist kann das Sekret durch saugfähige Wundauflagen, die evtl. in kurzen Intervallen gewechselt werden müssen, abgefangen werden, bevor es die Haut in nennenswertem Umfang erreicht. Sollte das nicht klappen, muss die Haut durch spezielle Präparate geschützt werden, z.B. mit Cavilon ® oder Comfeel ® Schutzcreme. Die früher häufig aufgetragene Zinkpaste ist mittlerweile umstritten, da zu ihrer Schutzwirkung keine Studien existieren.

Wundspülung und Desinfektion

Biofilme bestehen aus einer dünnen Schleimschicht, in der Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze eingebettet sind und entstehen immer dann, wenn Mikroorganismen sich an Grenzflächen ansiedeln. Sie bilden sich überwiegend in wässrigen Systemen, entweder auf der Wasseroberfläche, auf einer Grenzfläche zu einer festen Phase oder aber auch auf einer chronischen Wunde. Die hier befindlichen Krankheitserreger fühlen sich in ihrem Biofilm richtig wohl, werden vom körpereigenen Immunsystem kaum erreicht und können so schwere Infektionen auslösen. 

Staphylococcus aureus-Bioflim

Biofilme müssen somit zerstört und am besten noch entfernt werden. Das kann mechanisch erfolgen mit einer sterilen Kompresse, was in den meisten Fällen möglich ist und völlig ausreicht, oder aber durch Reinigung des Ulcus mit Spüllösungen. Zur Wundspülung kann physiologische Kochsalz-Lösung (0,9% NaCl) verwendet werden; soll gleichzeitig auch noch desinfiziert werden ist Polihexanid Mittel der ersten Wahl (Lavasept ®, Serasept ®). Es hat eine gute Gewebeverträglichkeit, soll granulationsfördernd wirken und ist auch zur Langzeitanwendung geeignet. Vorsicht bei der Anwendung in Gelenknähe: es greift den Knorpel an! 

Völlig „out“ sind Präparate auf Farbstoffbasis, organische Quecksilberverbindungen (Mercurochrom ®, in Deutschland seit 2003 vom Markt) sowie das früher häufig verwendete Rivanol ®, das zwar noch auf dem Markt ist, aber wie alle anderen Präparate zelltoxisch wirkt und die Wundheilung nicht unbedingt fördert. Auch sagt man ihm eine mutagene, erbgutverändernde Wirkung nach.

Wunde ausduschen: die heilende Kraft des Wassers?

Zur Reinigung eines Ulcus wird häufig auch das Ausduschen mit Leitungswasser empfohlen. Diese Empfehlung teilt Ärzteschaft und Pflegekräfte in zwei Lager, dazwischen befindet sich ein tiefer Graben, über den hinweg sich vehement bekämpft wird.

Was spricht für das Ausduschen?
Leitungswasser stellt eigentlich eine sehr gute Lösung zur Ulcusspülung dar. Der vorhandene Spüldruck beseitigt den Biofilm, es kann auf eine angenehme Temperatur eingestellt werden und ist unbegrenzt verfügbar. Es bestehen keine Haltbarkeitsprobleme wie bei der Kochsalzlösung, die nach Anbruch der Flasche höchstens 24 Stunden lang verwendet werden darf. Und: der Patient darf unter die Dusche, ein nicht unwichtiger Aspekt der Lebensqualität! Stellen Sie sich einmal vor, die Behandlung Ihres Ulcus braucht etliche Monate und Sie dürfen nicht unter die Dusche (vom Baden ganz zu schweigen)! Zur Reinigung großer, tiefer Wunden werden oft große Mengen an Spülflüssigkeit benötigt, so dass auch der ökonomische Aspekt für das Ausduschen spricht, denn sowohl Behandler als auch Patient können sich den Sparzwängen im Gesundheitswesen nicht entziehen.

Und was spricht dagegen?
Es ist kein Geheimnis, das Trinkwasser in Krankenhäusern die Quelle für schwere Infektionen darstellen kann, denn Wundinfektionen können durch keimbesiedelte Wasserhähne in Umlauf gebracht werden, was gelegentlich auf Intensivstationen der Fall ist. Das sollte uns zunächst egal sein, da wir uns selten auf Intensivstationen aufhalten und das Ausduschen von Ulcera dort wohl kaum stattfinden wird. Aber auch unser häusliches Leistungswasser ist nicht frei von Mikroorganismen, denn  durch die „Verordnung über die Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch“ - kurz Trinkwasserverordnung -  ist lediglich geregelt, dass Krankheitserreger im Trinkwasser nicht in gesundheitsschädlichen Konzentrationen enthalten sein dürfen. Der erlaubte Grenzwert von 100 Keimen/ml Wasser wird von Menschen mit intaktem Immunsystem in der Regel problemlos toleriert. Zur Wundspülung verwendetes Leitungswasser muss aber keimfrei sein, denn zur Wundversorgung angewendet unterliegt es den gleichen Anforderungen wie die pharmazeutisch hergestellten Medizinprodukte. In erster Linie ist das Ausduschen von chronischen Wunden mit Leitungswasser also ein juristisches Problem: es ist illegal!

Der Dortmunder Rechtanwalt W. Sträter formuliert in einem Rechtsgutachten wie folgt: „Aus juristischer Sicht kann gegenwärtig, vor dem Hintergrund der bekannten Keimbelastung von Trinkwasser, von der Verwendung von Leitungswasser/Trinkwasser ohne Durchführung von keimreduzierenden Maßnahmen, z.B. Einsatz nach dem MPG zugelassener Duschfilter, zur Spülung chronischer Wunden nur abgeraten werden. Es muss sogar darüber hinaus befürchtet werden, dass der entgegen dieser Erkenntnisse trotzdem erfolgte Einsatz von nicht-entkeimtem Trinkwasser zivilrechtlich zu einer verschärften Haftung und strafrechtlich zum  Schuldvorwurf des bedingten Vorsatzes führt. Die durch verkeimtes Wasser in der Wunde ggf. entstehenden Zusatzkosten für den Kostenträger (z.B. durch die verzögerte Wundheilung/ verlängerte Behandlung) können dem Verursacher berechnet werden.“ (Quelle: Wolfgang Sträter, Reinoldistraße 17-19, 44135 Dortmund, Rechtsanwalt „Spülung chronischer Wunden mit Leitungswasser– ein Risiko?“ 03.2009).

Fast alle Experten sind sich über den Sinn und die Vorteile des Ausduschens einig. Große Unterschiede gibt es bezüglich der Einschätzung des Infektionsrisikos dieser Maßnahme hinsichtlich einer Wundkontamination mit Keimen und anschließender Wundinfektion.

Es existieren nur wenige Studien zu dem Thema, ob Leitungswasser zur Wundreinigung eine sichere Alternative zu steriler Kochsalzlösung darstellt. Eine recht solide Studie aus 2004 kam zu dem Schluss, dass die Verwendung von Leitungswasser das Risiko für Wundinfektionen nicht erhöht und auch die Wundheilung nicht beeinträchtigt.





Wie bekommt man Leitungswasser zum Ausduschen steril?

Eine wirksame, zuverlässige und vor allem auch rechtssichere Möglichkeit der Infektvermeidung ist die Ausstattung des Duschkopfes mit Sterilfiltern, die z.B. über das Internet zu beziehen sind. Bei der Auswahl ist darauf zu achten, dass das Modell in die Duschhalterungen des Patienten passt und einen guten Spüldruck erreicht (die Ulcuswunde soll nicht nur mit Wasser berieselt werden). Auch sollte man unbedingt die Herstellerangaben zum Filterwechsel beachten, meist muss dieser alle 4 Wochen erfolgen.

Die Krankenkassen beteiligen sich übrigens nicht an den Kosten der nicht ganz billigen Sterilfiltern, diese müssen von den Patienten selbst getragen werden. Verständlich ist die Haltung der Krankenkassen nicht, denn die Behandlungskosten würden sich durch die Einsparung an steriler Spülflüssigkeit erheblich reduzieren.  Ein Antrag bei der Krankenkasse zur Erstattung der Kosten kann in Einzelfällen erfolgreich sein.





Eine schöne Übersicht zum Ausduschen von chronischen Wunden mit Leitungswasser und der damit verbundenen Kostenersparnis finden Sie unter dem folgenden Link (pdf-Datei). Achtung: Die Fotos von offenen Beingeschwüren und Druckgeschwüren am Gesäß sind nichts für Zartbesaitete!